Freitag, 16. April 2010

Body Count

Ich sitze gerade in dem airconditionierten Büro von terre des hommes und schaue mir den aktuellen Jahresbericht über die Projektarbeit in Mittelamerika an. Teilweise graueneregende Zahlen, die ich da lesen muss. Kleine Kostprobe gefällig?

"Das durchschnittliche Einkommen einer Familie liegt bei 270 U$/Monat. 46,1 % sind arm und 14,9 % leben in extremer Armut, das heißt sie müssen mit weniger als 1 U$ pro Tag auskommen"

Oder noch schlimmer: "Durch die Abschaffung des medizinisch indizierten Schwangerschaftsabbruch sind insbesondere vergewaltigte Mädchen im Alter von 10 bis 14 Jahren schwer getroffen. Sie werden gezwungen, die nicht gewollten Kinder auszutragen, obwohl sie weder psychisch noch physisch dazu in der Lage sind. In den Medien wurden zwischen 2005 und 2007 1.247 Fälle von Vergewaltigung oder Inzest von Minderjährigen registriert. 198 dieser vergewaltigten Mädchen waren im Alter von 10 bis 14 Jahren und wurden schwanger." - Ja, da möchte man eigentlich nur noch kotzen.
Ich bin jetzt 6 Wochen hier. Gefühlt eine Ewigkeit und doch habe ich manchmal das GEfühl gerade erst aus dem Flieger gestiegen zu sein und die Gateway in richtung Hitze passiert zu haben. Man kann sagen ich habe mich an die Ungewohnheit gewöhnt. Der Unterschied zwischen Arm und Reich ist wohl das krasseste in diesem Land für mich. Vor 15 Jahren betrug der Staatshaushalt von Nicaragua inetwa dem der Stadt Frankfurt am Main. Das muss man sich mal vorstellen. Ich komme hier im Büro mit so vielen Zahlen in Berührung, die teilweise ein dermaßen düsteres Bild über diese Region abgeben, dass ich es gar nicht glauben kann - kleines Beispiel aus Guatemala vom Jahr 2009:
"Die Zahl der Morde stieg nochmals um 206 Fälle auf jetzt 6.498 Morde in einem Jahr , davon 720 Morde an Frauen. 330 Opfer waren zwischen 13 und 17 Jahren alt. Am gefährdesten sind junge Männer aus armen Vierteln zwischen 18 und 30 Jahren. Die meisten Morde werden wie im Fall von Rosenberg von bezahlten Mördern vollstreckt. Ein Leben ist oft nicht mehr als 20 U$ wert. In 97% aller Fälle gibt es keine Aufklärung der Fälle bzw. keine Verurteilung." - ja, also Guatemala hat um die 12 Millionen Einwohner und im Jahr 6,500 Morde (man beachte die Dunkelziffer, die bestimmt noch höher liegt), Deutschland hat 82 Millionen und im Jahr 2008 um die 900.

Letzten Samstag ist ein Kumpel von mir der im Jugendzentrum in Ciudad Sandino arbeitet überfallen worden. Er saß mit 2 Freunden vor seinem Haus, am helligsten Tag, als 2 Typen mit Messern kammen um sie um ihre Wertsachen zu erleichtern. Jetzt hat er eine große Wunde am rechten Arm. Das ist so krass, da sitzt der einfach vor seiner Hütte und wird fast abgestochen. In seinem Viertel, mit seinen Freunden am helligsten Tag. Ich habe mich eigentlich immer sicher gefühlt, als ich mit ihm zusammen durch die Gegend gelaufen bin.

Langsam bekomme ich das Gefühl, dass nicht die Frage ist ob ich überfallen werde, sondern wann ich überfallen werde. UNCOOL! Da bekommt man richtig Heimweh.

Spiel mir ein Lied über Hamburg.

Bei diesen Kriminalraten ist es wohl kein Zufall, dass ihr im Radio unentwegt die 90er Jahre Rap-Schnulze "Gangstas Paradies" von Coolio läuft.
"Living in a Gangstas Paradies". YO! Das mach ich.


Trotz all dem Horror vor der Tür gibts hier natürlich auch schöne Dinge. Zum Beispiel Busreisen. Da kann man sich 2 Stunden Salsa Pop Videos anschauen (Hey Macarena!) und danach billige australische Gewalt-B-Movies, das ganze mit einer Beinfreiheit, die selbst die in Ryanair Flügen unterbietet.



P.S: Wenn der Fjollafokylado, oder wie auch immer der isländische Vulkan heißt jetzt noch weiter spuckt, muss ich dann eigentlich mit dem Schiff nach Hause fahren?

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